Hindemith Paul: MARIENLEBEN OP 27

Paul Hindemiths MARIENLEBEN OP 27 ist ein Zyklus von 15 Liedern für Sopranstimme und Klavier nach Texten von Rainer Maria Rilke. Das Werk liegt in zwei Fassungen vor: die hier vorliegende erste Fassung (Urfassung) entstand in den Jahren 1922-23, eine zweite, überarbeitete Fassung (Neufassung) brachte der Komponist dann 1948 zur Vollendung (Beginn der Umarbeitung 1936).
Zur Textvorlage: Den Gedichtzyklus ‚Das Marienleben‘ schrieb Rilke während seines zweiten Aufenthaltes auf Schloss Duino (Oktober 1911 bis Mai 1912). Dabei diente „bewusst zurückfühlend“ (…) „das Malerbuch vom Berge Athos mit seinen Bild-Vorschriften als gegenständliche Anlehnung“ (Briefzitat Rilkes). Zeitlich ist ‚Das Marienleben‘ in die Endphase der mittleren Schaffensperiode des Dichters einzuordnen, denn fast zeitgleich beginnt Rilke mit seinem bedeutenden Spätwerk, den ‚Duineser Elegien‘.
Hindemiths Vertonung steht im direkten Zusammenhang mit einer Neuorientierung im Schaffen des Komponisten, die neben dem Op. 27 insbesondere auch in den kammermusikalischen Werken der frühen zwanziger Jahre erkennbar wird, so beispielsweise im Klarinettenquintett op. 30 (1923), im Streichquartett op. 32 (1923) und im Streichtrio (1924).
Aspekte dieser Neuorientierung sind unter anderem: Die Musik ist „überschaubar, knapp, prägnant“, gewonnen durch eine stark kontrapunktische Satztechnik (Ausdünnung des Satzes im Sinne von „…alles verbannt, was nicht unmittelbar erfahrbar und nachvollziehbar wäre…“). Die Singstimme selbst fungiert als „nebengeordnete Stimme“, „der Textsinn ist im musikalischen Ausdruck, der immer schon in den ersten Takten festgelegt wird, und in der musikalischen Konstruktion sublimiert. Die Musik ist von vordergründiger Koloristik oder Illustration nahezu vollständig befreit (und scheint durch ihre satztechnische und formale Geschlossenheit sowie die modalen Wendungen der Atmosphäre der Rilkeschen Gedichte entsprechen zu wollen)“.
Die „musikalische Konstruktion“ ist unter anderem verwirklicht in der Verwendung bzw. Übernahme „absolut musikalischer Formen wie Passacaglia, Fugato, Thema mit Variationen oder Basso ostinato“.